Reise nach Ostwestfalen vom 5. bis 7. Mai 2017 – ein Bericht

„Und morgen wieder lustik“, pflegte Jérôme Bonaparte, Napoleons jüngster Bruder und König von Westphalen, zu sagen, wenn er seiner Dienerschaft eine gute Nacht wünschte. Das Land und die Leute schienen ihm zu gefallen – und so auch uns, den elf Teilnehmern einer kleinen Reise, die sich unter Anleitung von Christel Reinisch nach Westfalen aufgemacht hatten, um dort nach Spuren der Franzosen zu suchen.

Der Anfang war allerdings gar nicht so lustig. Nach individueller Anfahrt trafen wir uns um 11 Uhr vor den Toren von Soest am Eingang einer ehemaligen Kaserne, in der von 1940 bis 1945 französische Offiziere als Kriegsgefangene untergebracht waren. Zunächst in fast ritterlicher Manier geleitet, wurde das Lager aber im Verlauf des Krieges durch drangvollste Überbelegung für die Gefangenen zur nahezu unerträglichen Qual. Anfangs jedoch hatten sie Zeit und Muße, sich künstlerisch zu betätigen. Spuren davon konnten wir besichtigen: am eindrucksvollsten die sogenannte „Französische Kapelle“, ein in den französischen Nationalfarben großartig ausgemalter Gottesraum.

Nach dem Mittagessen im Restaurant Pilgrimhaus holte uns Frau Köster zu einem Rundgang durch Soest ab und akzentuierte ihre Führung auf unseren Wunsch hin auf französische Bezüge. Und deren gab es nicht wenige. Ganz eminent steht zum Beispiel gleich zu Anfang die Verbindung zu Troyes in der Champagne, von wo die Gebeine des Hl. Patroklus stammen, dessen Reliquien unser Kölner Erzbischof Bruno 964 dem von ihm in Soest gegründeten Stift geschenkt hatte. Sie werden heute im St. Patroki-Dom aufbewahrt. Ob die Kirche St. Maria zur Wiese analog zu St. Germain-des-Prés so benannt wurde, sei dahingestellt, jedenfalls wurden im Korpus der Christusfigur Reliquien von Bischöfen aus Auxerre und Bayeux gefunden. Einen indirekten aber interessanten Bezug stellt der Brunnen „Die Hochzeitsmusiker“ dar, der inspiriert ist von einem Kupferstich des Renaissance-Künstlers Aldegrever. Seine Verbindung nach Frankreich ist durch die Erwähnung seines Namens in einem Kirchenfenster in Conches bei Giverny gesichert. Aus der Moderne stammen zwei Kirchenfenster in St. Petri, geschaffen von Frère Marc aus Taizé. Ist es ein Kuriosum, dass die Familie Streiter ihrem Schreibwarengeschäft nach wie vor stolz den Ehrentitel einer „Papeterie“ verleiht, oder ist es nicht doch auch die tradierte Wertschätzung der französischen Sprache, die sich während der sehr fortschrittlichen Regentschaft von Jérôme Bonaparte (Abschaffung der Leibeigenschaft, Religionsfreiheit) Freunde gemacht hat? – Wie dem auch sei; nach der obligatorischen Betrachtung des „Westfälischen Abendmahls“ und einer Kaffeepause ging es weiter nach Karlshafen, wo beim gemeinsamen Abendessen im „Hessischen Hof“ geschmaust werden konnte.

Am nächsten Tag um 10:00 Uhr standen wir vor dem Rathaus von Bad Karlshafen mit der Inschrift C L Z H, Initialen für Carl Landgraf zu Hessen, der 1699 die Stadt gegründet hatte. Dabei konnte er sich auf die Tatkraft und den Fleiß der Hugenotten stützen, die nach der Widerrufung des Edikts von Nantes durch Ludwig XIV. Frankreich in großer Zahl verließen, um in Deutschland tolerantere Landesfürsten zu suchen. Landgraf Carl gehörte zu ihnen und ließ seine Hugenotten an der Weser eine im Sinne eines aufgeklärten Herrschers ideale Stadt erbauen. Unter der Anleitung der Stadtführerin Frau Böhm erkannten wir die strenge Symmetrie der Anlage und die elegante Funktionalität der sich um das schöne ovale Hafenbecken gruppierenden spätbarocken Gebäude. Leider ist die Wasserverbindung zur Weser seit den 30er Jahren unterbrochen, soll aber in naher Zukunft wieder hergestellt werde. Wir hofften mit Frau Böhm gemeinsam auf baldige Genesung des Beckens und damit auf lebendige Ermunterung des städtischen Treibens rundherum. Im Hugenotten-Museum wurde uns anschließend noch einmal in eindrucksvollen Dokumenten das Leid aber auch die enorme soziale und kulturelle Leistung der hugenottischen und waldensischen Glaubensflüchtlinge ins Bewusstsein gerufen.

Am Nachmittag fuhren wir nach Fürstenberg hinaus mit sehr schönen Blicken auf die ruhig dahinfließende schmale Weser. Die Führung durch das Porzellanmuseum war leider nicht sehr ergiebig, anregend waren indessen die Gespräche mit den beiden künstlerischen Mitarbeitern in der Museums-Werkstatt.

Schließlich, am letzten der drei Tage, Corvey, das Weltkulturerbe! Gleich nach den ersten Sätzen wussten wir: Diese Führung wird intensiv! Herr Kowalski holte weit aus, um in beredten Worten den historischen Kontext der Klostergründung im 9. Jahrhundert gebührend zu würdigen. Dabei wusste er die architektonischen Besonderheiten des Westwerks der Abtei als faszinierendes Beispiel für die „Karolingischen Renaissance“ begeisternd zu erläutern. Überzeugend seine christianisierende Interpretation der Odysseus-Fresken im Obergeschoss des Westwerks! Beim weiteren Verlauf der Führung durch die ausgedehnten Säle der Abtei des 17. Jahrhunderts, dem heutigen Schloss Corvey, bewunderten wir besonders den festlichen „Kaisersaal“ als Ausdruck der ehemaligen Reichsunmittelbarkeit der Abtei und die riesige Bibliothek mit Werken der Belletristik des 18. Und 19. Jahrhunderts, einstmals geleitet von Heinrich Hoffmann von Fallersleben, dem Dichter des Deutschlandliedes, heute betreut von der Universität Paderborn. Dass am Ende der Führung, bescheiden und unerkannt von den Besuchern seines Schlosses, der heutige Besitzer der ehemaligen Residenz an uns vorüberging, der Herzog von Ratibor und Fürst von Corvey, erhöhte den Charme unseres Besuchs.

Gegen Mittag statteten wir Höxter noch einen kurzen Besuch ab und erfreuten uns an den prächtigen Fachwerkhäusern, um dann doch zügig nach Köln zurückzufahren, zumal Any Schaefer und Michèle Azran noch pünktlich zur rettenden Stimmabgabe für Europa im Französischen Institut sein wollten.

Wir dankten Christel Reinisch noch einmal sehr herzlich für die überaus gut gelungene „Spurensuche“ und ermutigten sie zu weiteren Taten.

Hans Josef Hummes